de - Paul Virilio, Philosoph und großer Kritiker der Mediengesellschaft beschrieb bereits 1992 in seinem Buch "Rasender Stillstand“ die unglückliche Fähigkeit des Menschen, Dinge anzureißen, mit gefährlichem Halbwissen und einer Selbstverständlichkeit in sein Leben zu integrieren und dann weiter zu rasen zu neuen Dingen. Halb fertig, aber schon beim nächsten. So scheint es auch dem Digitalen ergangen zu sein, was sich in den letzten Wochen immer mehr aufdeckte.
Dank COVID-19 sind wir dann doch recht ordentlich aus unserer Komfortzone getreten worden. Und dennoch arrangieren sich die meisten Menschen trotz der Einschränkungen erstaunlich gut. Mit Komfortzone meine ich hier vorrangig den Verfüg, den jede Person in kürzester Zeit durch schnelle Überbrückung von Distanz auf Dinge haben kann, vorrangig Konsum und soziale Kontakte. Und nach wochenlanger Erfahrung, die wir alle gesammelt haben, ist es alles andere als eine Raketenwissenschaft zu schreiben, dass mit ebendiesem Beschnitt des Verfüge die physische Bewältigung durch eine digitale ersetzt werden „musste“. Musste, damit Bedürfnisse und systemrelevante Komponenten sowohl in privaten als auch allen anderen Sektoren aufrecht erhalten werden können. Man könnte sagen, besondere Zeiten erfordern besondere Maßnahmen.
Schon lange da, aber dank der erzwungenen Häuslichkeit nun deutlich weiter nach oben auf die Liste gerutscht, ist es vorrangig die Digitalität, die derzeit viel ersetzt und/oder überbrückt. Man könnte sogar sagen, dass die Akzeptanz und das Bedürfnis für Nutzung als auch der Wunsch hiernach durch die Not fast schon natürlich entsteht. Wie passend, denn wir haben Frühling und dieses Mal ist es digitale Blütezeit.
Restaurants, die zuvor lediglich analog bedient haben, liefern jetzt und nehmen Bestellungen online entgegen. Ohne besondere Umstände für die meisten Unternehmen bis vor der Epidemie undenkbare, aber nun geschehen: Homeoffice. Der z.T. antiquierte Einzelhandel geht auf Online-Bestellungen und liefert, um sich aufrecht erhalten zu können. Selbst die Kartenakzeptanz (EC und Kreditkarte) steigt in Deutschland. Und auch die Lehre für Schüler, aber auch Studenten wird über das digitale Angebot aufgefangen – endlich! Just in diesem Moment konzipiert mein Bruder ein reines digitales Seminar an einer Universität mit hohem Interaktionspotential und ich freue mich darüber. Es gibt sogar vermehrt Online-Sprechstunden beim Arzt.
Die Sicht der Dinge ändert sich. In einigen Bereichen mehr, in anderen weniger. Es werden neue, frische Erkenntnisse gesammelt, der Blick als auch die Nachfrage, z.T. sogar jetzt schon die Gewohnheit ändern sich. Und so hält in so manchem Bereich das Digitale Einzug, das es eigentlich nicht erst seit gestern gibt. Deswegen handelt es sich bei den meisten digitalen Neu-Nutzen um keine Innovationen, viel mehr um eine aus der Not geborene Integration, die zuvor mit Widerstand beäugt wurde. Wir fangen an, Dinge sauberer, beständiger und frequenter in unseren Alltag zu integrieren. Wenn jetzt noch die Provider das Bandbreitendefizit in den Griff bekämen, liefe vieles eigentlich in kürze der Zeit recht gut.
Deswegen gilt mehr denn je, ohne erneut in ein Defizit zu laufen, nachhaltig und bewusst in der digitalen Zeit anzukommen; die richtige Dosis zu finden und progressiv nach vorne zu schreiten.
Leider mussten wir, wie so oft in der Geschichte der Menschheit, zu einem Sprung ins Neue gezwungen werden. Dies freut mich nicht alleine deswegen, weil ich selber Digitaler bin, sondern ohne diese Veränderung würde unser System einfach nicht mehr funktionieren. Das Digitale könnte der neue Antikörper zu krankheitsbedingten Ausfällen werden – menschlicher als auch wirtschaftlicher Natur. Es gilt nun das Maß zu finden, mit den richtigen Leuten, die die „alten“ Leute richtig und mit Geduld an die Hand nehmen. Und dabei kommt es mehr denn je auf die Qualität und ferner Quantität an. Das schreibe ich aus Eigeninteresse, denn viele, sehr viele der ernannten Digitalen sind kaum welche. Es kommt die Zeit der Holistisch-Digitalen, die mehr denn je die Chance erhalten werden, unsere Kultur und Gesellschaft entscheidend zu prägen.
Digitales ist eine Hülle und ein Vehikel zugleich. Es liegt nun daran, wie wir es nutzen und vor allem mit welchen Verhaltensweisen es konsumiert wird. Ich wünsche uns allen ein gutes Gelingen!
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